Dass ab dem 01.01.2015 das Mindestlohngesetz (MiLoG) gilt, hat wohl jeder Arbeitgeber wahrgenommen. Die Tragweite dürfte jedoch nicht allen Arbeitgebern bewusst sein. Die tatsächlichen Wirkungen werden aufgrund der noch herauszukristallisierenden Rechtsprechung erst in den nächsten Jahren ersichtlich. Es bedarf jedoch in groben Zügen – ohne Berücksichtigung tarifvertraglicher Sondersituationen, Übergangsregelungen und spezifischen Branchenbetroffenheiten – einer grundsätzlichen Sensibilisierung.

Geltungsbereich

Das MiLoG ist für alle Arbeitnehmer relevant, sofern sie nicht von den Ausnahmeregelungen des § 22 MiLoG für Minderjährige, Auszubildende, ehrenamtlich Tätige und Praktikanten erfasst sind. Ob ein Arbeitnehmer als Praktikant im Sinne des Gesetzes zu qualifizieren ist, bedarf der Einzelfallprüfung. Es zeichnet sich in der Literatur eine deutliche Auffassung dazu ab, dass das MiLoG auch für eindeutig über den Mindestvorgaben vergütete Arbeitnehmer relevant ist, somit der Lohn in einen mindestlohnrelevanten und einen darüber hinausgehenden Teil aufzuspalten ist. Deutlich wird diese Relevanz bei der Annahme, dass ein Arbeitnehmer mit 8,60 € vergütet wird. Es liegt auf der Hand, dass bei solchen Arbeitsverhältnissen mit der ersten Überstunde bei arbeitsvertraglich geregelter Abgeltungsklausel das MiLoG Anwendung finden muss, um Missbrauchstatbeständen zu begegnen.

Ermittlung eines MiLoG-konformen Entgelts

Bereits die Ermittlung des berücksichtigungsfähigen Entgelts, wird für zahlreiche Arbeitgeber zu überraschenden Erkenntnissen führen. Zunächst muss man sich über die Bezugsgröße im Klaren sein, unter deren Zugrundelegung die Zahlung des Mindestlohnes festzustellen ist. Gemäß § 2 Abs. 1 Ziffer 2 MiLoG ist der Arbeitgeber dazu verpflichtet, den Mindestlohn spätestens am letzten Bankarbeitstag des Monats, der auf den Monat folgt, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde, zu zahlen. Daher dürfte der Ansicht zu folgen sein, dass es auf die arbeitsvertraglich festgelegte Fälligkeit der Lohnzahlung ankommt, jedenfalls der 2-Monatszeitraum zu wahren ist. Damit steht auch fest, dass zur Ermittlung des Mindestlohnes Gratifikationen, 13. Gehälter, Weihnachtsgelder u.ä. nicht heranzuziehen sind, sofern sie nicht in den 2-Monatszeitraum fallen. Aufgrund des relevanten Zeitkorridors ergeben sich zwangsläufig auch erhebliche Probleme für Provisionsabrechnungen, zumal von vornherein ausgeschlossen sein muss, dass die tatsächlich erzielbaren Provisionen mit dem zu Grunde zu legenden Grundgehalt den Mindestlohn unterschreiten.

§ 2 Abs. 2 MiLoG enthält eine zeitliche Öffnungsklausel für Arbeitszeitkonten, für die jedoch die zu wahrende Schriftform neue Formalanforderungen begründet. Schließlich ist die Maximalgrenze der Plusstunden von monatlich 50 % der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit sowie der Ausgleichszeitraum von 12 Monaten zu beachten.

In den Gesetzesbegründungen erfolgt eine Bezugnahme auf die entsenderechtliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) Eine Leistung des Arbeitgebers ist somit nur dann auf die Mindestlohnverpflichtung anzurechnen, wenn sie nach ihrer Zweckbestimmung als Gegenleistung für die Normalleistung des Arbeitnehmers zu qualifizieren ist. Danach sind Zulagen für quantitative oder qualitative Mehrarbeiten nicht ohne weiteres zu berücksichtigen. Da § 1 Abs. 1 und Abs. 2 MiLoG auf die „Zahlung“ von „brutto 8,50 €/Zeitstunde“ abstellt, wird der Standpunkt vertreten, dass Sachleistungen nicht zu berücksichtigen sind. Private Handynutzungen, sind demnach ebenso außer Acht zu lassen, wie die Bereitstellung von Firmenfahrzeugen zu privatem Gebrauch oder Wohnungen Da ein Arbeitnehmer über Vermögenswirksame Leistungen nicht verfügen kann, sind diese Leistungen als Entgeltbestandteile ebenso wenig zu berücksichtigen wie betriebliche Alterssicherungen.

Durchführungskontrolle und Dokumentationspflichten

Auf den Grundsatz „Wo kein Kläger, da kein Richter“ sollte sich ein Arbeitgeber aufgrund der möglichen Aufdeckungssachverhalte nicht verlassen. Gemäß § 14 MiLoG ist für die Prüfung und Einhaltung der Pflichten des Arbeitgebers die Zollverwaltung zuständig. Im Rahmen der Bekämpfung der Schwarzarbeit ist die Durchführungsaktivität solcher Behörden bekannt geworden. Ein hohes Gefahrenpotential resultiert aus Anzeigen von Arbeitnehmern (Whistleblower), womit spätestens bei unharmonischen Beendigungen von Arbeitsverhältnissen zu rechnen ist. Es dürfte auch nur eine Frage der Zeit sein, bis Insolvenzverwalter in ihrer Treuhänderfunktion für die Wohlverhaltensperiode von Schuldnern die Mindestlohnverpflichtungen von Arbeitgebern thematisieren. Des Weiteren sind bei Gesetzesverstößen Beanstandungen durch Betriebsprüfungen seitens der Sozialversicherungsträger vorprogrammiert. Im Beitragsrecht der Sozialversicherungen gilt gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV das Entstehungsprinzip, sodass eventuell nachzuberechnende Sozialversicherungsbeiträge am Mindestlohn orientiert werden.

§ 17 MiLoG begründet besondere Dokumentationspflichten. Da auf § 2a des SchwarzarbeitbekämpfungsG Bezug genommen wurde, trifft dieselben Branchen, die ihre Mitführungs- und Vorlagepflichten von Ausweispapieren aus diesem Zusammenhang kennen, nunmehr zusätzliche Dokumentationspflichten. Hinzugekommen ist eine entsprechende Verpflichtung – unabhängig von der Branche – für geringfügig Beschäftigte. Es sind, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit spätestens bis zum Ablauf des 7. Tages des auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages aufzuzeichnen. Durch Führung entsprechender Stundenzettel kann diese Verpflichtung auf den Arbeitnehmer übertragen werden. Der Arbeitgeber wird jedoch für eine gewissenhafte Erledigung Sorge tragen müssen.

Verstöße gegen die gesetzlichen Anforderungen können mit Bußgeldern bis zu 500.000,00 € belegt werden.

Pauschale Subunternehmerhaftung?

Kaum sichtbar in den Medien thematisiert ist die Frage der Haftung von Unternehmern, die einen Nachfolgeunternehmer beauftragen, der jedoch nicht den Mindestlohn zahlt. Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass das MiLoG keine ausdrückliche Regelung trifft, sondern gem. § 13 MiLoG zur Haftung des Auftraggebers eine entsprechende Anwendung des § 14 ArbeitnehmerentsendeG (AEntG) vorgesehen ist. In § 14 AEntG ist eine Haftung von Unternehmern angeordnet, wenn ein von diesen Unternehmen mit Erbringung von Werk- und Dienstleistungen beauftragtes Unternehmen an seine Mitarbeiter das Mindestentgelt nicht zahlt. Der Begriff „Unternehmer“ wurde bislang vom BAG jedoch sehr restriktiv verstanden und die Auftraggeberhaftung in einem Urteil aus dem Jahre 2007 auf eine Generalunternehmerhaftung beschränkt. Ob diese Beschränkung auch zum MiLoG Anwendung findet, kann im Hinblick darauf, dass im Rahmen der damaligen Entscheidung mit dem Gesetzeszweck argumentiert wurde, nicht als sicher unterstellt werden. Unternehmer, die Subunternehmer beauftragen, sollten sich folglich nicht blind auf die Zahlung des Mindestlohnes verlassen. Einfallstor für die Geltendmachung von Ansprüchen dieser Art dürfte das Insolvenzrecht bieten. Der Auftraggeber haftet gegenüber den unterbezahlten Arbeitnehmern, die ihn möglicherweise insbesondere dann in Anspruch nehmen wollen, wenn bei ihrem in Insolvenz geratenen Arbeitgeber der Lohn nicht gedeckt ist. Besonders riskant ist in diesem Zusammenhang der Vorwurf einer Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis der unzureichenden Zahlungen des Auftragnehmers, die einen unmittelbaren Bußgeldtatbestand gemäß § 20 Abs. 2 und 3 MiLoG begründen.

Gestaltungsbedarf und -möglichkeiten

Gem. § 3 MiLoG ist der Mindestlohn unabdingbar. Entgegenstehende Vereinbarungen sind somit unwirksam. Auf einen Anspruch kann ein Arbeitnehmer nur durch gerichtlichen Vergleich verzichten. Damit sind Gestaltungsräume eingeschränkt. Trotzdem besteht Gestaltungsbedarf. Dem Transparenzgebot hinreichend entsprechende Abgeltungsklauseln für Überstunden sind bei einem Verstoß gegen das MiLoG ebenso unwirksam, wie häufig in Arbeitsverträgen vorgesehene Ausschlussfristen, zumal zu überprüfen ist, welcher „Normallohn“ festgelegt wird. Zwar wird derzeit unter Berufung auf den Gesetzeswortlaut (§ 3 MiLoG) überwiegend vertreten, dass unwirksame Regelungen nur „insoweit“ unwirksam sind, wie sie gegen das MiLoG verstoßen, jedoch kann sich ein vorsichtiger Arbeitgeber auf solche Rechtstandpunkte nicht verlassen, da im Übrigen bei Verwendung von Formularverträgen der Grundsatz gilt, dass eine unwirksame Klausel gänzlich unwirksam ist und nicht auf das zulässige Maß reduziert wird.

 

RA Nikolai Manke

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