Weist ein Werk nach Fertigstellung und Abnahme Mängel auf, hat der Besteller des Werkes Ansprüche gegen den Unternehmer aus den §§ 634 ff BGB. Dazu gehört u. a. der Anspruch des Bestellers aus §§ 634 Nr. 2 i. V. m. § 637 Abs. 3 BGB, von dem Unternehmen einen Vorschuss für die zur Beseitigung des Mangels im Wege der Selbstvornahme erforderlichen Aufwendungen zu verlangen. Aufgrund der Stellung des § 634 (Rechte des Bestellers bei Mängeln) und des § 640 (Abnahme) im Gesetz könnte man meinen, der Besteller könnte schon vor Abnahme des Werkes Ansprüche aus den §§ 634 ff BGB gegen den Werkunternehmer geltend machen. Tatsächlich verhält es sich – zumindest grundsätzlich – genau anders herum.
Dazu das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht, Urteil vom 16. Juli 2015, Az.: 7 U 124/14:
„Zwar greifen die §§ 634 ff. BGB „an sich“ erst ein, wenn das fertig gestellte und abgenommene Werk mangelhaft ist. Grundsätzlich nicht erfasst werden die Rechte des Bestellers während der Phase der Herstellung des Werkes oder die Ansprüche bei nicht rechtzeitiger Ablieferung (zB OLG Köln, Urt. v. 12.11.2012 – 11 U 146/12 -, NJW 2013, 1104 ff). […] Allerdings soll der Besteller in Ausnahmefällen auch schon im Stadium vor der Abnahme oder dem Eingreifen einer Abnahmefiktion Rechte aus den §§ 634 ff. BGB geltend machen können (OLG Köln, a. a. O.; Palandt/Sprau, BGB, 74. Aufl. vor § 633 Rn 7 m. w. N.). […] Die Frage, ob ein Vorschussanspruch auch vor Abnahme besteht, ist zwar nicht unumstritten, sie wird aber – soweit ersichtlich – für bestimmte (enge) Ausnahmefälle von einer im Vordringen befindlichen Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und dem Schrifttum, der sich der Senat anschließt, bejaht (z. B. […]).“
Folgen für die Praxis
Im Ausnahmefall kann der Besteller eines Werkes trotz fehlender Abnahme einen Vorschussanspruch haben. Als berechtigt sieht das OLG diesen Anspruch an,
„wenn der Unternehmer ein aus seiner Sicht fertiggestelltes und mangelfreies Werk abliefert, der Besteller jedoch wegen Mängeln zu Recht die Abnahme des Werkes verweigert und offensichtlich ist, dass der Unternehmer die Mängel nicht mehr wird beseitigen können bzw. nicht gewillt ist, die notwendigen Mängelbeseitigungsmaßnahmen zu ergreifen.“
„In einem solchen Fall kann der Besteller sich auch vor erfolgter Abnahme auf die nach Abnahme bestehenden Mängelrechte stützen, weil der – dann – noch bestehende Erfüllungsanspruch keinen geringeren Schutz verdient als ein Anspruch auf Nacherfüllung und der Besteller nicht gezwungen sein kann, eine mangelhafte Leistung u. a. mit der Folge der Beweislastumkehr für das Vorliegen von Mängeln abzunehmen, um sodann erst sein Recht auf Selbstvornahme durchsetzen zu können. Der Besteller ist damit nicht auf die Geltendmachung der Rechte aus den §§ 280 ff., 323 ff. BGB beschränkt.“ (a. a. O.)
Angesichts der erheblichen Rechtswirkungen der Abnahme (z. B. Fälligkeit des Werklohns, Beweislastumkehr, s. o.) sollte dieser Ausnahmefall Bestellern und Unternehmern bekannt sein.
Update / Hinweis
Zu der Frage nach Mängelrechten vor Abnahme eines Werkes ist zwingend die jüngere Entscheidung des BGH vom 19.01.2017, Az.: VII ZR 193/15, zu beachten, die wir in einem gesonderten Beitrag behandeln.
Dr. jur. Christian Behrens LL.M.
Rechtsanwalt und Notar
- Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
- Notar mit dem Amtssitz in Uelzen
- Schlichter für Baustreitigkeiten (SOBau)
- Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg
- Mitglied der ARGE Baurecht im DAV und der Deutschen Gesellschaft für Baurecht e.V.
- Ehrenamtlicher Richter des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs (AGH) in Celle
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