Der Begriff des „Digitalen Nachlass“ stellt die etwas unbeholfene Umschreibung für Probleme bei der Nachlassabwicklung dar, die sich daraus ergeben, dass unsere Welt mehr und mehr „digital“ wird. Nicht nur das soziale Leben verlagert sich via facebook, twitter u. ä. in den virtuellen Bereichen. Über Nutzerkonten bei amazon, ebay, paypal und google werden Geschäfte getätigt, Verbindlichkeiten eingegangen und Zahlungen vorgenommen. Aktien werden weitgehend online verwaltet. Für Onlinedienste bestehen Abonnements, die auch mit dem Tod nicht automatisch enden müssen. Kryptowährungen sind Geld in Form digitaler Zahlungsmittel mit z.T. explosionsartiger Wertentwicklung.
Kaum jemand macht sich Gedanken darüber, dass durch plötzlichen Tod oder Geschäftsunfähigkeit diese Geschäfts- und Lebensbereiche für die Erben faktisch schwer bis gar nicht erreichbar sind.
Mit dem Tod einer Person geht deren Vermögen als Ganzes auf den oder die Erben über (§1922 BGB), so ist die Vorstellung des Gesetzgebers.
In rechtlicher Hinsicht sind in Bezug auf den digitalen Nachlass noch etliche Fragen offen. Vermögensrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen werden von § 1922 BGB erfasst. Sie gehen auf die Erben über. Höchstpersönliche Ansprüche wie z.B. Persönlichkeitsrechte, das Recht am eigenen Bild, welches zu Lebzeiten großzügig auf youtube oder facebook gepostet wurde, sind zurzeit Gegenstand heftiger juristischer Diskussionen, höchstrichterlich aber kaum bis gar nicht geregelt. Persönlichkeitsrechte gehen nicht auf die Erben über. Deren Wahrnehmung obliegt auch nicht automatisch den Erben, sondern ist nach gefestigter Rechtsprechung von den nächsten Angehörigen wahrzunehmen (BGHZ 50, Seite 133 ff – Mephisto).
Abgesehen von den rechtlichen Problemen steht der Erbe in der Regel vor der Situation, dass er über den Umfang und den Inhalt des digitalen Nachlasses keine Informationen und auch keine Möglichkeit besitzt, sich diese zu verschaffen. Der Erblasser hinterlässt in der Regel auch keine Anordnung, was mit seinen „persönlichen“ Accounts im Netz erfolgen soll. Der Erbe scheitert bereits daran, dass er die Accounts nicht kennt und ihm die Zugangsdaten, Passwörter o.ä. fehlen.
Diese bereits zu Lebzeiten sehr sensiblen Daten, die im Fall von Passwörtern auch regelmäßig aktualisiert werden, sind nicht in Testamenten aufgehoben. Testamente werden bei amtlicher Verwahrung von den Amtsgerichten geöffnet, durchlaufen Poststellen und werden allen Erben bzw. potentiellen Erben bekannt gemacht. Beantragt der Erbe einen Erbschein, werden auf dem Amtsweg auch die gesetzlichen Erben informiert. Der digitale Nachlass gerät außer Kontrolle.
Ähnliche Probleme ergeben sich im Fall einer plötzlichen Geschäftsunfähigkeit wegen Krankheit, Unfall o. ä. Besteht eine Vorsorgevollmacht gilt vorstehendes auch für den Bevollmächtigten.
In Vorsorgevollmachten wird regelmäßig angeordnet, dass der Bevollmächtigte den Vollmachtgeber in allen vermögensrechtlichen Angelegenheiten vertreten kann. Dies umfasst auch das virtuelle Vermögen. Vorsorgevollmachten werden idR nicht so häufig aktualisiert wie Passwörter geändert oder neue Accounts eingerichtet werden. In vielen Fällen erhält der Bevollmächtigte auch eine Ausfertigung der Vollmacht, die er im Ernstfall hervorholen und nutzen kann. Diese Handhabung zeigt, dass auch Vorsorgevollmachten kein geeignetes Dokument sind, Zugangsdaten für den digitalen Nachlass zu enthalten.
Praxistipp
Als Hilfestellung für die Erben bzw. einen Bevollmächtigten ist ein Verzeichnis der Accounts mit Zugangsdaten in einer Weise zu verwahren, dass der Bevollmächtigte/Erbe darauf Zugriff nehmen kann. Bei einer Erbenmehrheit stellt sich die Frage, ob diese Daten nur einem zugänglich gemacht werden.
Davon möglicherweise getrennt sind Accounts zu behandeln, die nicht vermögensrechtlicher, sondern privater Natur sind (facebook, yahoo, whatsapp, bloggs, Partnerbörsen etc.).
Sollen diese Bereiche professionell geregelt werden, kann der Erblasser einen Testamentsvollstrecker benennen. Dessen Aufgabenkreis beschränkt sich auf die Verwaltung des digitalen Nachlasses, evtl. ausgenommen Bankkonten, die online geführt werden. Der digitale Nachlass kann im Einzelnen konkret beschrieben werden, z. B. E-Mail-Konten, soziale Netzwerke o. ä. Der Erblasser/Vollmachtgeber kann konkrete Anweisungen erteilen, in welcher Weise über seinen digitalen Nachlass zu verfügen ist. Er schützt hierdurch nicht nur seine Privatsphäre sondern auch sein zu vererbendes Vermögen.
Johannes Zimmermann
Rechtsanwälte Zimmermann & Manke
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